Gleichschaltung des Wissens
Von Dirk Maxeiner, Die Weltwoch, Ausgabe 06/07
Wissenschaftler, die an der Rolle des Menschen bei der
globalen Erwärmung zweifeln, werden neuerdings als «Klimaleugner» abgekanzelt.
Die Temperaturbehörde der Uno gebärdet sich als eine Art Wissensministerium.
Heidi Cullen ist die Klima-Expertin des amerikanischen
«Weather Channel». Sie machte unlängst mit einer Forderung von sich reden:
Meteorologen, die an der Rolle des Menschen bei der globalen Erwärmung zweifeln,
solle die berufliche Zulassung entzogen werden. Letzte Woche war die attraktive
Fernsehfrau dann bei der bekannten amerikanischen CNN-Fernsehshow «Larry King
Live» zu Gast. Thema: «Could global warming kill us?» «Die Wissenschaft ist sehr
solide», warf sie in die Diskussionsrunde ein. Ebenfalls im Studio war Richard
S. Lindzen, Meteorologie-Professor am Massachussetts Institute of Technologie
(MIT). Der vollbärtige Gelehrte gehört zu jenen Personen, die Heidi Cullen gerne
mit einem Berufsverbot belegen würde: Lindzen findet, die Rolle des Kohlendioxid
bei der Erwärmung der Erde werde weit überschätzt. Der Mann hat erstklassige
wissenschaftliche Meriten und kann es sich erlauben, cool zu bleiben. Zuckersüss
antwortete er: «Heidi sagt, die Wissenschaft sei solide, und ich kann sie gar
nicht kritisieren, weil sie nämlich nie sagt, welche Wissenschaft sie eigentlich
meint.» Er traf damit den Kern der gegenwärtigen Debatte. Es geht meist gar
nicht um einzelne wissenschaftliche Fragen, sondern um ein allumspannendes
Weltbild, für das ein angeblicher «Konsens» in Anspruch genommen wird.
«Wissenschaftsferner» Bericht
«Hoffentlich ist jetzt auch der letzte
Zweifler überzeugt», ist auch im deutschsprachigen Raum einer der in den Medien
am häufigsten formulierten Sätze, wenn es um den jüngsten Klimabericht des
Uno-Klimagremiums (IPCC) geht. Es gibt offenbar ein starkes Bedürfnis nach
totalem Konsens. Wobei sich zwei Fragen aufdrängen: Warum müssen die letzten
Zweifler überhaupt überzeugt werden? Und vor allem: Wovon sollen sie überzeugt
werden? Der IPCC-Bericht eignet sich eher nicht für die Festlegung endgültiger
Gewissheiten. So wird für die Entwicklung der Globaltemperatur in den nächsten
hundert Jahren eine Spanne von plus 1,1 Grad bis 6,4 Grad angegeben. Soll man
nun von 1,1 Grad überzeugt sein, von 6,4 oder irgendwo dazwischen? Dass die Erde
wärmer geworden ist, bezweifelt niemand. Das IPCC ist ferner der Meinung, dass
Kohlendioxid daran den grössten Anteil hat. Die Unsicherheit in dieser Frage
wird mit höchstens noch zehn Prozent eingeschätzt. Warum sollten also nicht auch
zehn Prozent Zweifler erlaubt sein?
Das IPCC wurde 1988 nicht als
Wahrheitsministerium gegründet, sondern als eine Organisation, die den
weltweiten wissenschaftlichen Sachverstand in Sachen Klima bündeln soll. Es geht
darum, die Forschungsergebnisse in der Literatur zu sammeln und für Politiker
aufzubereiten. Den grössten Einfluss auf die Meinungsbildung hat die kurze
Zusammenfassung «Summary for policymakers». Sie basiert auf den Arbeiten von
2500 Wissenschaftlern, wird aber Wort für Wort von hunderten
Regierungsvertretern abgesegnet und verändert. Der Entstehungsprozess der
«Summary for policymakers» ist im Grunde wissenschaftsfern. Auch ist die Auswahl
der beteiligten Regierungsvertreter nicht unabhängig. Aber die Politik will es
so.
Debatte nicht erwünscht
Das Wissen der Menschheit ist heute auf sehr
viele Köpfe verteilt. Ein Problem nicht nur für die Politik, sondern auch für
grosse Unternehmen. Doch während man dort im modernen Wissensmanagement mit
gutem Grund auf den Wettbewerb der vielen Köpfe setzt und ihn stimuliert,
verfolgt die Politik eine Kultur des Konsenses und des kleinsten gemeinsamen
Nenners. Es geht auch um Absicherung: Falls sich eine Prognose in Zukunft als
Irrtum herausstellt, kann man sich zumindest auf den seinerzeitigen
wissenschaftlichen Sachstand berufen. Und das kann man eigentlich schon seit dem
IPCC-Bericht 2001, der bereits in starken Worten den menschlichen Einfluss auf
das Klima betonte. Im Grunde hat das Gremium seine Mission erfüllt.
Doch
wie immer bei solchen Institutionen und Verfahren beginnen sie ein Eigenleben.
Der IPCC-Vorsitzende Rajendra Pachauri spricht inzwischen wie der Chef einer
Aktivisten-Gruppe, der die Öffentlichkeit «schockieren» möchte. Der Übergang von
der wissenschaftlichen Beratung zur politischen pressure group ist fliessend.
Die deutschen Klimaforscher Hans Joachim Schellnhuber und Stefan Rahmstorf,
beide bewährte IPCC-Kader und tätig für das Potsdam-Institut für
Klimafolgenforschung, betrachten den Klimawandel als «Feuertaufe für die im
Entstehen begriffene Weltgesellschaft». In einem Buch hegen sie sehr genaue
Vorstellungen: «Im Grunde müssten sämtliche Planungsmassnahmen zu Raumordnung,
Stadtentwicklung, Küstenschutz und Landschaftspflege unter einen obligatorischen
Klimavorbehalt gestellt und durch geeignete Anhörungsverfahren zukunftsfähig
gestaltet werden.»
Dissidente Meinungen sind, wann immer es um die
Rettung der Welt geht, nie sehr willkommen. Der abgelöste Uno-Generalsekretär
Kofi Annan sagte: «Die wenigen Skeptiker, die immer noch versuchen, Zweifel zu
säen, sollten als das angesehen werden, was sie sind: aus dem Tritt, ohne
Argumente und von gestern.» Und so geschieht plötzlich etwas, wofür der
IPCC-Konsens eher nicht gedacht war: Er wird missbraucht, um die weitere
wissenschaftliche Debatte abzuwürgen. Aus dem Konsens soll die Wahrheit werden.
Wissen dient nicht mehr zur Findung des politischen Willens, sondern politischer
Wille wird als Wissen inszeniert. Und dies funktioniert nur, wenn die Lufthoheit
über das Thema monopolisiert werden kann. Eine Grundlage der Wissenschaft heisst
aber: Alles darf kritisiert und angezweifelt werden. Wissen muss revidierbar
bleiben. Der Zweifel ist das methodische Prinzip der gesamten modernen
Naturwissenschaft. Und doch wird immer offener versucht, nicht auf der
Konsenslinie des IPCC befindliche Gruppen und Wissenschaftler einzuschüchtern.
Der israelische Astrophysiker Nir Shaviv von der Universität in
Jerusalem und Jan Veizer, der an den Universitäten in Bochum und Ottawa forscht,
können ein Lied davon singen. Veizer wird von der Royal Society of Canada als
einer der «kreativsten, innovativsten und produktivsten Geowissenschaftler der
Welt» gerühmt und hat den hochdotierten Leibniz-Preis der deutschen
Forschungsgemeinschaft zugesprochen bekommen. Veizer und Shaviv veröffentlichten
in der Zeitschrift der Geological Society of America eine Studie, in der sie der
kosmischen Strahlung eine grosse Rolle bei der Erderwärmung zuschreiben. Das
wurde als Angriff auf die Bedeutung des anthropogenen Treibhauseffektes
empfunden. Stefan Rahmstorf und 13 weitere prominente Klimaforscher, darunter
der Schweizer Thomas Stocker, versandten eilig eine Pressemitteilung, in der sie
die wissenschaftliche Integrität der Kollegen anzweifelten und ihre Untersuchung
als «fragwürdig» und «unhaltbar» schmähten. «Ihr Schreiben beweist, dass sie nur
in eine Kurzmeldung und nicht einmal die ganze Studie gelesen hatten», erinnert
sich Shaviv an das merkwürdige wissenschaftliche Verfahren.
Zweifler zensurieren sich selbst
Der kurze Prozess für Zweifler
kommt in Mode. Für Menschen mit dissidenter Meinung bemüht man inzwischen den
Ausdruck «Leugner» – eine bewusste Anspielung auf Holocaust-Leugner. In der
amerikanischen Zeitschrift Grist wurden für sie Verfahren «im Stil der
Nürnberger Prozesse» gefordert. In der deutschen Tageszeitung berichtet ein
Redaktor anerkennend von einer schwarzen «Liste mit 31 Namen», die unter
deutschen Klimaforschern kursiere. Die Wissenschaftler der deutschen
Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe, die im Regierungsauftrag den
Entwurf des IPCC-Berichtes begutachteten und zu teilweise kritischen
Einschätzungen kamen, wurden von der Tageszeitung deshalb der «amtlichen Lüge»
bezichtigt. In Kalifornien wurde der Staatsanwalt in Marsch gesetzt, um
herauszufinden, ob Richard Lindzen womöglich Kontakt mit der Autoindustrie habe.
In England forderte die Royal Society ultimativ den Ölkonzern Exxon auf, keine
Gelder mehr für Gruppen und Wissenschaftler zur Verfügung zu stellen, die
Zweifel am herrschenden Klimadogma haben. Auch der Klimaforscher Stefan
Rahmstorf bezichtigt Skeptiker der Nähe zu Wirtschaftsunternehmen (ausgerechnet
in einer Publikation, die von der Münchner Rückversicherung finanziert wurde).
Der deutsche Klimaforscher Hans von Storch, der fest von der globalen Erwärmung
durch den Menschen überzeugt ist, wundert sich: «Wissenschaftler verfallen in
einen Eifer, der geradezu an die Ära McCarthy erinnert.»
Wie überall gibt
es unter den abweichenden Stimmen auch Spinner und Sektierer. Es gibt sicherlich
auch von Interessen geleitete Auftragsforschung. Für den Sensationsjournalismus
ist der Angriff auf die Person und die Präsentation von Schuldigen in jedem Fall
höchst willkommen: So lässt sich das Klimathema skandalisieren. «Alle Skandale
weisen totalitäre Züge auf», so der Kommunikationswissenschaftler Hans Mathias
Kepplinger. «Sie zielen auf die Gleichschaltung aller, weil die öffentliche
Abweichung einiger den Machtanspruch der Skandalisierer und ihrer Anhänger in
Frage stellen würde.» Man habe es mit einer «demokratischen Variante von
Schauprozessen» zu tun. Die Soziologen Sheldon Ungar und Dennis Bray beschreiben
in einer Studie («Silencing Science») wie in kontroversen Diskussionen
irgendwann der Punkt erreicht wird, an dem unter Wissenschaftlern und
Journalisten ein Prozess des «self-silencing» einsetzt. In einer Umfrage unter
530 Klimaforschern in 27 Ländern, die Bray zusammen mit von Storch durchführte,
war jeder Zehnte absolut überzeugt, dass der Klimawandel auf den Menschen
zurückzuführen ist, und weitere 46 Prozent tendierten zu dieser Meinung. Beim
Rest gab es mehr oder weniger starke Zweifel. Allerdings dürfte kaum einer davon
bereit sein, diese auch öffentlich zu artikulieren. So kommt eine Spirale in
Gang. Der 34-jährige Astrophysiker Nir Shaviv sagt: «Für junge Wissenschaftler,
die noch für ihre Karriere kämpfen müssen, ist es viel schwerer, sich zu
etablieren und einen Job zu finden, wenn sie gegen den Strom schwimmen.»
Zweifel am IPCC-Konsens wurden diesmal von unerwarteter Seite geschürt.
So nennt der Bericht für den Anstieg des Meeresspiegels in den nächsten 100
Jahren eine Spanne von 18 bis 59 Zentimetern. Hans-Joachim Schellnhuber, nicht
nur dem IPCC-Establishment, sondern auch der deutschen Bundeskanzlerin Angela
Merkel als Klimaschutzbeauftragter eng verbunden, warnte die Öffentlichkeit
stattdessen vor einem Anstieg um satte zwei Meter. Sein Institutskollege Stefan
Rahmstorf, einer der Leitautoren des IPCC, assistierte mit einer neuen Studie in
der Zeitschrift Science, der zufolge der Meeresspiegel entschieden schneller
ansteigen könnte als dort niedergeschrieben. Die Meldung wurde exakt in die
Abschlusswoche der Formulierung des Weltklimaberichtes platziert. Zweifel sind
also erlaubt, allerdings nur, wenn es schlimmer kommen könnte.